Jungbullen-Fall · BGHZ 55, 176 · Klassiker Zivilrecht

Der Jungbullen-Fall (BGH, 11.01.1971 – VIII ZR 261/69) ist DER Klassiker in der zivilrechtlichen Rechtsprechung. Auf dem ersten Blick einfach gestrickt, entpuppt sich der unscheinbare Sachverhalt als elegante Verknüpfung von Problemen aus dem Sachen- und Bereicherungsrecht. Ein Must-Know!

Sachverhalt: Jungbullen-Fall

Der Dieb D stahl dem Landwirten L zwei Jungbullen und verkaufte sie für 1701 DM an den Wurstfabrikanten W. Dieser ging gutgläubig davon aus, dass der Dieb Eigentümer der Tiere gewesen sei. W verwertete die Tiere in seiner Fleischwarenfabrik. Bestehen Ansprüche des L gegen W und D?

Problemschwerpunkte:

Gesetzlicher Eigentumserwerb durch Verarbeitung (§ 950 BGB)
Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten (§§ 932 – 935 BGB)
Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 812 – 822 BGB), u.a.

Dieser Fall konfrontiert uns mit einigen juristischen Problemfeldern.

Anspruchsgrundlagen:

§§ 687 II 1, 678 BGB
 §§ 989, 990 I BGB
§§ 987, 990 BGB
§ 823 I BGB
§§ 951, 812 I 1 2. Alt. BGB

§§ 687  II 1, 681 S. 2, 667 BGB
§ 816 I 1 BGB
§§ 687  II 1, 678 BGB
§§ 989, 990 I BGB
§§ 1007 I, III 2, 989, 990 I BGB
§§ 992, 823 I BGB
§§ 992, 823 II BGB i.V.m. 242 I StGB
§§ 992, 823 II BGB i.V.m. 858 I BGB
§§ 992, 826 BGB

Es gilt bei der Vielzahl von Anspruchsgrundlagen den Überblick zu bewahren. Unterteile die Lösung nach den Ansprüchen gegen W und D.

Gutachten: Jungbullen-Fall

A. Ansprüche des L gegen den W

Zunächst sind die Ansprüche des Landwirtes L gegen den Wurstfabrikanten W zu prüfen.

Vertragliche Ansprüche kommen hier nicht in Betracht.

I. Anspruch auf Schadensersatz aus angemaßter Eigengeschäftsführung, §§ 687 II 1, 678 BGB

In Betracht kommt ein Anspruch auf Schadensersatz aus angemaßter Eigengeschäftsführung nach §§ 687 II 1, 678 BGB. Als W die beiden Jungbullen geschlachtet und verarbeitet hat, könnte er ein Geschäft des L geführt haben. Zwar handelt es sich dabei um ein objektiv fremdes Geschäft. Allerdings scheidet die angemaßte Eigengeschäftsführung aus, da W keine positive Kenntnis von der Fremdheit hatte.

Anspruch aus §§ 687 II 1, 678 BGB (-)

II. Anspruch auf Schadensersatz aus EBV, §§ 989, 990 I BGB

Jedoch könnte L einen Anspruch auf Schadensersatz aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis aus §§ 989, 990 I BGB haben.

1. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV)

Zunächst müsste ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) im Zeitpunkt der Verletzungshandlung vorliegen, also eine Vindikationslage zwischen L und W. Dies ist der Fall, wenn zum Zeitpunkt der Schlachtung und Verarbeitung der L Eigentümer und der W Besitzer ohne Besitzrecht gewesen ist.

Exkurs · Ergänzender Hinweis

Man könnte noch problematisieren, dass Jungbullen als Tiere zwar keine Sachen i.S.d. § 90 BGB sind, aber nach § 90a BGB wie Sachen behandelt werden.

a) Eigentümer = L

Ursprünglich war L Eigentümer der beiden Jungbullen. Eine dingliche Einigung zwischen dem Landwirt L und dem Dieb D über den Eigentumsübergang nach § 929 S.1 BGB lag nicht vor. Vielmehr hat D sich die Tiere widerrechtlich durch den Diebstahl (§ 242 I StGB) angeeignet.

Allerdings könnte W das Eigentum nach § 929 S.1 BGB rechtsgeschäftlich von D erworben haben. Dieb D und W haben sich über den Eigentumsübergang geeignet. Die Übergabe ist erfolgt. Sie waren sich auch bei Übergabe noch einig. Jedoch ermangelt es dem D an der dinglichen Berechtigung. Der Erwerb vom Nichtberechtigten ist unter den Voraussetzung der §§ 929 S.1, 932 BGB möglich. Zwar liegt ein Verkehrsgeschäft vor und W ist mangels anderweiter Anhaltspunkte gutgläubig i.S.v. § 932 II BGB. Freilich hat der D dem L die Jungbullen gestohlen, sodass ein Abhandenkommen nach § 935 I BGB vorliegt. Ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb durch W scheidet daher aus. Auf einen Erwerb durch Verarbeitung (§ 950 BGB) ist hier nicht abzustellen, da es auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der Verarbeitung ankommt. Damit war L bei der Schlachtung noch Eigentümer der Jungbullen.

Exkurs · Voraussetzungen §§ 929 S. 1, 932 BGB

Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäfts
Rechtsscheinstatbestand Besitz, § 1006 I BGB
Gutgläubigkeit des Erwerbers, § 932 BGB
Kein Abhandenkommen, § 935 BGB

b) Besitzer = W

W hatte die tatsächliche Sachherrschaft über die Jungbullen und war damit unmittelbarer Besitzer nach § 854 BGB.

c) Kein Recht zum Besitz

Ferner hatte W zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung kein Recht zum Besitz. Der zwischen W und D geschlossene Kaufvertrag (§ 433 BGB) wirkt nur inter partes und entfaltet keine Rechtswirkung im Verhältnis zwischen L und W.

d) Zwischenergebnis

Eine Vindikationslage bzw. ein EBV liegt vor.

2. Rechtshängigkeit bzw. Bösgläubigkeit

Ferner müsste beim Besitzerwerb die Rechtshängigkeit nach § 989 BGB, §§ 253, 261 ZPO vorliegen oder W bösgläubig sein.

Beides ist hier nicht der Fall. Bei Besitzerwerb ermangelt es der Bösgläubigkeit nach §§ 990 I 1, 932 II BGB. Zudem hatte er keine spätere positive Kenntnis vom mangelnden Besitzrecht nach § 990 I 2 BGB. Der Wurstfabrikant W erfuhr erst mit der Klageerhebung des L von seinem mangelndem Besitzrecht.

3. Zwischenergebnis

Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 989, 990 I BGB (-)

III. Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen, §§ 987, 990 I BGB

Weiterhin könnte L einen Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen aus EBV aus §§ 987, 990 I BGB haben.

1. EBV

Eine Vindikationslage bzw. ein EBV liegt vor (s.o.).

2. Nutzungen

Gleichsam müsste W Nutzungen aus der Sache – den zwei Jungbullen – gezogen haben. Nutzungen nach § 100 BGB sind Früchte oder Gebrauchsvorteile. Jedoch muss die Muttersache bei Nutzungen erhalten bleiben. Deshalb kann die Verarbeitung von Sachen keine Nutzung darstellen.

3. Zwischenergebnis

Mangels Vorliegen von Nutzungen scheidet ein Anspruch aus §§ 987, 990 I BGB aus. Zudem war M hier auch gutgläubig.

Anspruch aus §§ 987, 990 I BGB (-)

IV. Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 I BGB

Außerdem könnte L einen Schadensersatz aus unerlaubter Handlung nach § 823 I BGB haben.

1. Anwendbarkeit

Hierfür müsste § 823 I BGB überhaupt anwendbar sein. Grundsätzlich „sperrt“ das Vorliegen eines EBV nach § 993 I Hs.2 BGB die Anwendbarkeit des § 823 I BGB (Sperrwirkung des EBV). Nach dem Sinn und Zweck sollen die §§ 987 ff. BGB den gutgläubigen unrechtmäßigen Besitzer privilegieren. Sie regeln daher Ansprüche auf Schadens-, Nutzungsersatz und Verwendungen dem Grund nach abschließend. Ausnahmen von der Sperrwirkung des EBV werden z.B. bei deliktischer Besitzerlangung und beim Fremdbesitzerexzess gemacht. Letzteres soll sicherstellen, dass der rechtmäßige Besitzer nicht schlechter steht als der unrechtmäßige Besitzer.

a) Deliktische Besitzerlangung, § 992 BGB

Wurstfabrikant W könnte deliktischer Besitzer nach § 992 BGB sein. Dies ist der Fall, wenn er den Besitz durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) oder durch eine Straftat erlangt hat. Verbotene Eigenmacht bedeutet, dass der Besitz dem unmittelbaren Besitzer ohne dessen Willen entzogen oder ihm der Besitz gestört wird. Vorliegend hat W dem D die beiden Jungbullen abgekauft. Eine Besitzerlangung durch Straftat oder verbotene Eigenmacht scheidet hier also aus.

b)Fremdbesitzerexzess

Beim Fremdbesitzerexzess überschreitet der Fremdbesitzer das tatsächlich oder vermeintlich bestehende Besitzrecht. Hier ging W davon aus, dass er selbst Eigentümer geworden ist. Als solcher wäre er zur Schlachtung und Verarbeitung der Bullen berechtigt. Wegen dieses vermeintlichen Besitzrechts scheidet das Vorliegen eines Fremdbesitzerexzesses aus.

2. Zwischenergebnis

Ausnahmetatbestände greifen nicht. Es gilt die Sperrwirkung des EBV. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheidet also aus.

Anspruch aus § 823 I BGB (-)

V. Anspruch auf Wertersatz aus §§ 951, 812 I 1 Alt.2 BGB

§§ 987 ff. BGB sind nur bezüglich Forderungen auf Schadensersatz, Nutzungsersatz und Verwendungen, nicht jedoch hinsichtlich Rechtsverlust oder Erlösheraushabe.

1. Anwendbarkeit

Fraglich ist, ob §§ 951, 812 I 1 Alt.2 BGB überhaupt anwendbar ist. Zu denken ist wieder an die Sperrwirkung des EBV im Hinblick auf Ansprüche auf Schadens-, Nutzungsersatz und Verwendungen. Beim Verbrauch der Sachsubstanz durch Schlachtung handelt es sich um keine Nutzung nach § 100 BGB, da die Muttersache bei der Verarbeitung nicht erhalten bleibt. Zudem ist §§ 951, 812 I 1 Alt.2 BGB kein Anspruch auf Schadensersatz, da die Schlachtung der Bullen keinen zu kompensierenden Vermögensvorteil entstehen lässt. Vielmehr ist §§ 951, 812 I 1 Alt.2 BGB ein bereicherungsrechtlicher Wertersatzanspruch, der als Rechtsfortwirkungsanspruch zu § 985 BGB ausgestaltet ist. § 951 I BGB ist anwendbar.

2. Voraussetzungen des § 951 I 1 BGB

Die Voraussetzungen des § 951 I 1 BGB müssen vorliegen. Erforderlich ist ein Rechtsverlust nach §§ 946-950 BGB. Hier könnte L das Eigentum an den beiden Jungbullen durch Verarbeitung nach § 950 I BGB erworben haben.

a) Herstellung einer neuen beweglichen Sache

Der Wurstfabrikant W müsste eine neue bewegliche Sache hergestellt haben. Hier hat W die beiden Jungbullen, die zwar keine Sachen i.S.d. § 90 BGB sind, aber nach § 90a BGB wie Sachen behandelt werden, zu Fleischwaren verarbeitet. Eine neue bewegliche Sache wurde durch Verarbeitung hergestellt.

b) Herstellereigenschaft des W

Allerdings müsste W auch Hersteller der neuen Sache sein. Hersteller ist, in wessen Namen und wirtschaftlichen Interesse die Herstellung erfolgt. Dies bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung. Nach ihr ist der Wurstfabrikant W als Unternehmer auch dann Hersteller, wenn die Verarbeitung durch seine Angestellte vorgenommen worden ist.

c) Wertvergleich

Zudem darf der Wert der Verarbeitung nicht erheblich geringer sein als der Wert des Stoffes. Die Rechtsprechung zieht hierbei eine Grenze bei 60% des Stoffwertes. Mangels anderweitiger Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass dieser Wert bei der Verarbeitung der Jungbullen zu Fleischwaren erreicht wird. Hierfür spricht, dass der Wurstfabrikant W als Unternehmer gewinnorientiert ist.

d) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des § 951 I 1 BGB liegen vor, da der Erwerb des Eigentums an den Fleischwaren durch W die Kehrseite zum Verlust des Eigentums des L an den Bullen ist.

3. Voraussetzungen des § 812 I 1 Alt.2 BGB

Weiterhin müssen die Voraussetzungen des § 812 I 1 Alt.2 BGB müssen vorliegen. Denn bei § 951 I 1 BGB handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung.

aa) Etwas erlangt

Zunächst müsste W etwas erlangt haben. Etwas ist jeder vermögenswerte Vorteil. Hier hat W Eigentum und Besitz an den Fleischwaren und damit etwas erlangt.

b) in sonstiger Weise

Ferner müsste W das Eigentum und den Besitz in sonstiger Weise, also nicht durch Leistung, erlangt haben. Fraglich ist, ob hier der Vorrang der Leistungskondiktion greift. Wenn jemand etwas nach § 812 I 1 Alt.1 BGB durch Leistung erlangt hat, ist ein Rückgriff auf die Nichtleistungskondiktion nach § 812 I 1 Alt.2 BGB ausgeschlossen. Mit diesem Grundsatz soll sichergestellt werden, dass die Rückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis erfolgt.

Folglich ist hier abzugrenzen, ob W das Eigentum an den zwei Jungbullen durch Leistung oder auf sonstige Weise erlangt hat. Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Hier hat der Dieb D dem W die Bullen übergeben und damit den Besitz durch Leistung verschafft. Das Eigentum an den Jungbullen konnte der D dem W wegen § 935 BGB allerdings nicht verschaffen. Vielmehr hat W das Eigentum erst durch Verarbeitung nach § 950 BGB erlangt.

In anderen Worten hat W das Eigentum an den Fleischwaren zwar erst durch die Besitzverschaffung durch D, nicht aber durch dessen Leistung erlangt. Bereicherungsgegenstand der Eingriffskondiktion (Eigentum) und der Leistung (Besitz) sind also verschieden, sodass der Vorrang der Leistungskondiktion nicht gilt. Wurstfabrikant W hat Eigentum in sonstiger Weise erlangt. Die Eingriffskondiktion ist nicht ausgeschlossen.

c) Auf Kosten des L

Außerdem müsste W das Eigentum auf Kosten des L erlangt haben. Dies ist der Fall, wenn die Erlangung des Eigentums durch W stoffgleich zum Eigentumsverlust des L ist. Hier hat W in den Zuweisungsgehalt des L (Eigentum) eingegriffen als W mit der Schlachtung und Verarbeitung das Eigentum des L beendet hat. Diese Vorgänge erfolgten also auf Kosten des L.

d) Ohne Rechtsgrund

Auch müsste W das Eigentum ohne Rechtsgrund erworben haben. Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse wirkt der Kaufvertrag mit D nur inter partes und stellt keinen Rechtsgrund im Verhältnis zu L dar. Schließlich hat L den Eigentumsübergang nicht nach § 185 II BGB genehmigt.

e) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des § 812 I 1 Alt.2 BGB liegen vor.

4. Rechtsfolge, § 818 BGB

Rechtsfolge des Bereicherungsanspruch ist nach § 818 I BGB grundsätzlich die Verpflichtung zur Herausgabe. Der Anspruch aus §§ 951, 812 I 1 Alt.2 BGB enthält eine Vergütung in Geld, da eine Herausgabe der Jungbullen unmöglich ist. Der Umfang des Bereicherungsanspruch richtet sich dabei gemäß § 818 II BGB nach dem objektiven Wert der verarbeiteten Gegenstands. Möglicherweise könnte sich W nach § 818 III BGB aber auf Wegfall der Bereicherung (Entreicherung) berufen wegen der Kaufpreiszahlung an D. Allerdings ist § 951 I 1 BGB ein Rechtsfortwirkungsanspruch von § 985 BGB. Wären die Jungbullen noch vorhanden gewesen, hätte W diese nach § 985 BGB herausgeben müssen. Dann wäre der an D geleistete Kaufpreis unberücksichtigt geblieben. Dies soll auch für § 951 I 1 BGB gelten, sodass sich W nicht auf die Einrede der Entreicherung nach § 818 III BGB berufen kann.

Exkurs: Anspruch W gegen D

Gleichsam kann W von D den Kaufpreis aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit durch mangelnde Eigentumsverschaffung zurückverlangen.

Der objektive Wert der verarbeiteten Bullen ist zu ersetzen.

5. Zwischenergebnis

Der Landwirt L hat einen Anspruch gegen W auf Wertersatz aus §§ 951 I 1, 812 I 1 Alt.2 BGB.

Anspruch aus §§ 951 I 1, 812 I 1 Alt.2 BGB (+)

Ergebnis: Ansprüche L gegen W

§§ 951 I 1, 812 I 1 Alt. 2 BGB (+)

B. Ansprüche des L gegen den D

Weiterhin sind die Ansprüche des Landwirtes L gegen den Dieb D zu prüfen.

Zu prüfen sind Ansprüche auf Herausgabe des Veräußerungserlöses und Schadensersatzansprüche.

I. Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus angemaßter Eigengeschäftsführung, §§ 687 II 1, 681 S.2, 667 BGB

Landwirt L könnte einen Anspruch gegen den Dieb D auf Herausgabe des Veräußerungserlöses nach §§ 687 II 1, 681 S.2, 667 BGB haben.

1. Anwendbarkeit

Der Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses ist nicht durch die Sperrwirkung des EBV nach § 993 I Hs.2 BGB „gesperrt“, da es nicht um Nutzungs-, Schadensersatz oder Verwendungen, sondern um den Veräußerungserlös, geht.

2. Voraussetzungen des § 687 II 1 BGB

Bei der Veräußerung an W handelt es sich um ein objektiv fremdes Geschäft. Zudem hatte D Kenntnis von der Fremdheit und wusste D, dass er zur Veräußerung nicht berechtigt war. Die Voraussetzungen des § 687 II 1 BGB liegen damit vor.

3. Rechtsfolge: Herausgabe des Veräußerungserlöses

D hat einen Veräußerungserlös erlangt und ist nach §§ 681 S.2, 667 BGB zur Herausgabe des Veräußerungserlös verpflichtet. 

4. Zwischenergebnis

L hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus §§ 687 II 1, 681 S.2, 667 BGB.

Anspruch aus §§ 687 II 1, 681 S.2, 667 BGB (+)

II. Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 I 1 BGB

L könnte einen Anspruch gegen D auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 I 1 BGB haben.

1. Anwendbarkeit

Der Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses ist nicht durch die Sperrwirkung des EBV nach § 993 I Hs.2 BGB „gesperrt“, da es nicht um Nutzungs-, Schadensersatz oder Verwendungen, sondern um den Veräußerungserlös, geht.

2. Verfügung eines Nichtberechtigten

Es müsste eine Verfügung eines Nichtberechtigten vorliegen. Eine Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich geändert wird. Hier hat D die zwei Jungbullen an W veräußert, sodass eine Verfügung vorliegt. Als Dieb ist D auch Nichtberechtigter.

3. Wirksame Verfügung gegenüber L

Fraglich ist, ob die Verfügung des D gegenüber L wirksam ist. Jedoch liegt wegen § 935 BGB keine wirksame Übereignung von D an M vor. Freilich kann L die Verfügung durch D nach § 185 II 1 Alt.1, 184 BGB genehmigen. Dabei steht der Genehmigungsmöglichkeit nicht entgegen, dass L das Eigentum bereits durch Verarbeitung des M verloren hat. Eine Genehmigung kann im Herausgabeverlangen gesehen werden. Dadurch würde L aber seine Ansprüche gegen M aus § 951 I BGB verlieren. Damit wäre er auf die Solvenz des D angewiesen. Ihm ist daher anzuraten, das Geschäft nur Zug-um-Zug gegen Zahlung des Veräußerungserlöses zu genehmigen. Zahlt D nicht, kann er immer noch vom solventen W Ersatz nach § 951 I BGB verlangen.

4. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten

Nach § 816 I 1 BGB ist D zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten verpflichtet. Fraglich ist, was man unter dem „Erlangten“ versteht.

(P) „Erlangtes“ i.S.d. § 816 I 1 BGB

M1: objektiver Wert der Sache

M2: Kaufpreis

Der Dieb D kann sich nicht auf Entreicherung nach § 818 III BGB berufen, da er als bösgläubiger Besitzer nach §§ 819 I, 818 IV BGB verschärft haftet.

5. Zwischenergebnis

L hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 I 1 BGB.

Anspruch aus § 816 I 1 BGB (+)

III. Anspruch auf Schadensersatz aus angemaßter Eigengeschäftsführung nach §§ 687 II 1, 678 BGB

L könnte gegen D einen Anspruch auf Schadensersatz aus angemaßter Eigengeschäftsführung nach §§ 687 II 1, 678 BGB haben.

1. Voraussetzungen des § 687 II 1 BGB

Die Veräußerung der zwei Jungbullen ist ein objektiv fremdes Geschäft. Zudem wusste D, dass diese nicht ihm, sondern dem L gehörten und dass er keine Befugnis zur Veräußerung hatte.

2. Voraussetzungen des § 678 BGB

Weiterhin widerspricht die Übernahme der Geschäftsführung dem Willen des Geschäftsherrn. D handelte weder im Interesse noch im Willen des L. Ein Übernahmeverschulden des D liegt vor. Maßstab ist das objektives Interesse. D wusste bzw. hätte zumindest erkennen können, dass L nicht mit der Veräußerung einverstanden war (§§ 122 II, 276 I, II BGB).

3. Rechtsfolge

Somit tritt Naturalrestitution nach § 249 I BGB grundsätzlich als Rechtsfolge ein. Darunter versteht man die Beschaffung gleichartiger oder gleichwertiger Sachen. Da die Jungbullen vollständig zerstört worden sind (nun Fleischwaren), kommt ein Geldersatz nach § 249 II BGB nicht in Betracht. Folglich ist, ohne Fristsetzung (§ 251 BGB), Schadensersatz in Geld nach § 250 BGB in Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu leisten.

4. Zwischenergebnis

L hat gegen D einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.d. Wiederbeschaffungswert der Bullen aus §§ 687 II 1, 678 BGB.

Anspruch aus §§ 687 II 1, 678 BGB (+)

IV. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 989, 990 BGB

L könnte gegen D einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 989, 990 BGB haben

1. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV)

Landwirt L ist zum Zeitpunkt der Veräußerung von D an W noch Eigentümer und D ist Besitzer ohne Recht zum Besitz gegenüber L. Eine Vindikationslage bzw. ein EBV liegt vor.

2. Rechtshängigkeit bzw. Bösgläubigkeit

Ferner müsste zum Zeitpunkt der Veräußerung die Rechtshängigkeit nach § 989 BGB, §§ 253, 261 ZPO vorliegen oder D im Hinblick auf sein Besitzrecht bösgläubig sein. D wusste, dass er zur Veräußerung der Jungbullen nicht berechtigt war. Er war bösgläubig nach §§ 990 I 1, 932 II BGB.

3. Verschulden der Unmöglichkeit der Herausgabe

Darüber hinaus ist die Herausgabe der Jungbullen unmöglich geworden. Dieb D hat dies nach §§ 989, 276 I BGB verschuldet, da er die Tiere vorsätzlich an M weitergegeben hat.

4. Rechtsfolge

Daher schuldet der Dieb D, ohne Fristsetzung (§ 251 BGB), dem L Schadensersatz in Geld nach § 250 BGB in Höhe des Wiederbeschaffungswertes.

5. Zwischenergebnis

L hat einen Schadensersatzanspruch gegen D aus §§ 989, 990 BGB.

V. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 1007 I, III 2, 989, 990 I BGB

In Betracht kommt ein Anspruch auf Schadensersatz des früheren Besitzers aus §§ 1007 I, III 2, 989, 990 I BGB.

Vor der Veräußerung der zwei Jungbullen von D an W war L rechtmäßiger Besitzer. D war bei Besitzerwerb bösgläubig. Allerdings ist er nicht mehr gegenwärtiger Besitzer und damit nicht Schuldner des Anspruchs. Eine Ersatzpflicht gegen den alten Besitzer besteht aber nach §§ 1007 III 2, 987 ff. BGB. Jedoch erfasst der Anspruch nur das Besitzerinteresse, nicht aber das Eigentümerinteresse. Der Anspruch scheidet aus.

VI. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 992, 823 I BGB

Ferner ist ein Schadensersatzanspruch des L gegen D aus §§ 992, 823 I BGB möglich.

1. Voraussetzungen des § 992 BGB

D hat den Besitz an den zwei Jungbullen durch verbotene Eigenmacht nach § 858 BGB und durch Straftat verschafft. D hat mit dem Diebstahl der Jungbullen § 242 I StGB erfüllt.

2. Voraussetzungen des § 823 I BGB

Weiterhin müsste D die Eigentumsverletzung rechtswidrig und schuldhaft begangen haben. Hier verlor L sein Eigentum endgültig durch die Schlachtung der Tiere durch M. Jedoch gab D die gestohlenen Bullen rechtswidrig und schuldhaft an M weiter, sodass die Eigentumsverletzung durch D am Eigentum des L rechtswidrig und schuldhaft geschah.

3. Rechtsfolge

Folglich schuldet D dem L, ohne Fristsetzung nach § 251 BGB, Schadensersatz in Geld i.H.d. Wiederbeschaffungswertes.

4. Zwischenergebnis

L hat einen Schadensersatzanspruch gegen D aus §§ 992, 823 I BGB.

VII. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 992, 823 II BGB i.V.m. § 242 I StGB; § 858 I BGB; § 826 BGB

Der Landwirt L könnte gegen D einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 992, 823 II BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz haben. Ein Schutzgesetz ist jedes Gesetz (Art. 2 EGBGB), das nicht nur den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, sondern daneben oder ausschließlich den eines einzelnen oder eines bestimmten Personenkreises. Als Schutzgesetz kommen § 242 I StGB; § 858 I BGB; § 826 BGB in Betracht. Diese bezwecken den Schutz eines einzelnen. Deren Voraussetzungen liegen auch vor. D hat gegen diese Gesetze rechtswidrig und schuldhaft verstoßen. Daher schuldet D Schadensersatz in Geld i.H.d. Wiederbeschaffungswertes nach § 250 BGB. L hat einen Schadensersatzanspruch gegen D aus §§ 992, 823 II BGB i.V.m. dem jeweiligen Schutzgesetz.

Ergebnis: Ansprüche L gegen D

Herausgabe des Veräußerungserlöses
§§ 687 II 1, 681 S.2, 667 BGB
§ 816 I 1 BGB

Schadensersatz
§§ 687 II 1, 678 BGB
§§ 989, 990 I BGB
§§ 992, 823 I BGB
§§ 992, 823 II i.V.m.
§ 242 I StGB; § 858 I BGB; § 826 BGB


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