Toilettenpapier-Fall · LG Hanau NJW 1979, 721 · Klassiker Zivilrecht

Im heutigen Beitrag beschäftigen wir uns mit dem Toilettenpapier-Fall (LG Hanau NJW 1979, 721). In diesem Klassiker-Fall wird richtig viel Klopapier bestellt – fast wie in Corona-Zeiten!

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Sachverhalt (vereinfacht)

Schulleiterin K bestellt als Vertreterin der Mädchenschule M bei Verkäufer V „25 Gros Rollen“ Toilettenpapier für den Schulbedarf . Auf dem ausgefüllten Bestellschein steht die Bezeichung „Gros=12×12“. Bei Warenanlieferung verweigert K die Annahme und Bezahlung des Großteils der 3.600 gelieferten Rollen. Tatsächlich wollte sie nur 25 Rollen bestellen, die sie auch angenommen und bezahlt hat. K ficht das Rechtsgeschäft an, da sie über die Bedeutung der Mengenbezeichnung „Gros“ geirrt hat. Hat die Klage auf Zahlung des vollen Kaufpreises Erfolg?

Alternativ: Schadensersatzanspruch des V, wenn Annahme des Toilettenpapiers verweigert?

Skizze

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Problemschwerpunkte

Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, § 119 I Alt.1 BGB
Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschauens, § 122 BGB

Anspruchsgrundlagen

§ 433 II BGB
§ 122 I BGB

Gutachten: Toilettenpapier-Fall

A. Anspruch auf Kaufpreiszahlung, § 433 II BGB

Der Verkäufer V könnte gegen die Mädchenschule M einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die gelieferten 3600 Rollen Klopapier („25 Gros Rollen“) haben.

I. Abschluss eines Kaufvertrages

Dafür müssten der V und die M einen wirksamen Kaufvertrag abgeschlossen haben.

Vorliegend hat der V der K den Kauf von 25 Gros Toilettenpapier vorgeschlagen und damit ein Angebot abgegeben. Dieses Angebot hat K nach § 164 I BGB im Namen der M angenommen. Zwar ging die K davon aus, dass ihr 25 große Rollen Toilettenpapier und nicht 25 Groß, also 3600 Rollen Toilettenpapier, angeboten werden. Dennoch ist die Willenserklärung der K nach §§ 133, 157 BGB als Einverständnis mit dem Kauf von 25 Gros Rollen Toilettenpapier auszulegen, da insofern der objektive Empfängerhorizont maßgeblich ist. Angebot und Annahme liegen vor.

V und M (vertrteen durch K) haben sich über den Verkauf von 3600 Rollen Toilettenpapier geeinigt, sodass die Vertragsparteien einen Kaufvertrag nach § 433 BGB geschlossen haben.

II. Wirksamkeit des Kaufvertrages

Fraglich ist, ob der Kaufvertrag wirksam ist. Dieser könnte nach § 142 I BGB durch Anfechtung der M ex tunc unwirksam sein. Dies setzt eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrages voraus.

1. Anfechtungserklärung, § 143 I BGB

Die Anfechtung muss nach § 143 I BGB gegenüber dem Anfechtungsgegener erklärt werden. Vorliegend hat die K bei der Lieferung des Toilettenpapiers die Annahme eines Großteils des Toilettenpapiers verweigert und nur 25 Rollen angenommen und bezahlt. Dadurch erklärt sie konkludent gegenüber dem V als Vertragspartner die Anfechtung des Kaufvertrages.

2. Anfechtungsgrund, § 119 I Alt.1 BGB

Zudem ist ein Anfechtungsgrund erforderlich. Hier hat sich die K über die Mengenbezeichnung „Gros“ geirrt. Bei Vertragsschluss ging sie subjektiv davon aus, 25 Rollen Klopapier zu kaufen, objektiv hat sie allerdings die Annahme des Kaufs von 3600 Rollen Toilettenpapier erklärt. Da somit das objektiv Erklärte und das subjektiv Gewollte auseinanderfällt, liegt ein Irrtum vor.

Hier irrt sich die K über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung. Die K erklärt 25 Gros Rollen Toilettenpapier zu kaufen. Sie geht davon aus, 25 große Rollen zu kaufen, obwohl 25 Groß tatsächlich 3600 Rollen meint.

Hinweis: 25 Gros = 25 mal 12 mal 12 = 3600 (Klopapierrollen)

Damit liegt ein Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 I Alt.1 BGB vor.

ErklärungsirrtumInhaltsirrtum
Erklärende verschreibt, vertippt oder verspricht sichErklärende irrt über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung (Irrtum über den Erklärungsinhalt)

Dieser Inhaltsirrtum der K war auch ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung. Denn bei Kenntnis der Sachlage (tatsächliche Bedeutung des Ausdrucks „Gros“) und bei verständiger Würdigung des Falles hätte K die Erklärung über den Kauf von 3.600 Rollen nicht abgegeben.

Der M (vertreten durch K) steht ein Anfechtungsgrund zu.

3. Anfechtungsfrist, § 121 I BGB

Ferner muss die Anfechtung nach § 121 I BGB unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen. Hier hat die K direkt bei der Lieferung der 3600 Rollen Toilettenpapier den Irrtum über die Mengenbezeichnung „Gros“ erkannt und die Annahme verweigert. Somit ist die Anfechtung unmittelbar nach Kenntniserlangung von dem Anfechungsgrund, also unverzüglich erfolgt, sodass die Anfechtung rechtzeitig im Rahmen der Anfechtungsfrist des § 121 I BGB erfolgt ist.

III. Ergebnis

Die K hat den Kaufvertrag wirksam im Namen der M angefochten. Daher ist dieser nach § 142 I BGB ex tunc nichtig. Der V hat gegen die M keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für 3600 Rollen Klopapier.

B. Schadensersatzanspruch des V, § 122 I BGB

Da die K wirksam die Anfechtung des Kaufvertrages erklärt hat, steht dem Anfechtungsgegener V nach § 122 I BGB ein Anspruch gegen den Anfechtenden auf Ersatz der ihm im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung entstandenen Schäden zu. Als Vertrauensschaden ist dieser auf das negative Interesse gerichtet, sodass der Verletzte so zu stellen ist, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hätte („Ich habe noch nie etwas vom Geschäft gehört.“). Umfasst wären z.B. Transportkosten, nicht aber entgangener Gewinn.


Bildquelle: Pixabay von Carola68 (Pixabay License)

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